Müssen Industriedesigner Spezialisten sein?
Haben (und brauchen) Industriedesigner üblicherweise ein Spezialgebiet?
In vielen Berufen ist immer tieferes Spezialwissen und Detailkenntnis hilfreich für ein gelungenes Ergebnis. Als Beispiel: Einem Anwalt für Arbeitsrecht wird nach einigen Jahren in diesem Themenfeld keiner etwas vormachen können, und er wird einen gegnerischen Junganwalt der noch kein Experte in diesem Gebiet ist, wahrscheinlich sehr überlegen sein. In anderen Bereichen wird er vermutlich aus Mangel an Detailwissen weniger brillieren und daher einen Kollegen empfehlen.
Im kreativen Bereich ist es etwas anders. Der typische Designer, so wie ich ihn kenne, brennt für neue Themen und ist von seiner Persönlichkeitsstruktur darauf ausgelegt, bei neuen Problemstellungen regelrecht aufzublühen. Konfrontiere ihn immer wieder mit sehr ähnlichen Aufgaben und ihm geht irgendwann die Luft d.h. die Ideen zu dem Thema aus.
Eine Ausnahme von dieser Beobachtung bildet die grundsätzliche Aufteilung innerhalb der Produktgestaltung in die Bereiche Mode, Spielzeug und Medien. Zu den genannten Spektren muss man einfach eine gewisse Affinität haben. Ich persönlich habe zu Modeschöpfung keinerlei Bezug, zu Spielzeug nur sehr begrenzt. Ebenso fehlen mir bei Kommunikationsdesign -Grafik, Medien- die Herausforderung der technischen/mechanischen Funktionalität, um mein kreatives Feuer zu entfachen. Es macht also Sinn, einen Modedesigner für textile Produkte zu engagieren und einen UX/UI-Designer für die neue App. Unsinn ist es aber, einen Grafikdesigner für die neue Firmenwebsite zu suchen, der schon mehrere Projekte in der eigenen Branche vorweisen muss. Ein fähiger Designer kann sich problemlos in neue Themen eindenken.
Ist Erfahrung als Industriedesigner dann also wertlos?
Nein, im Gegenteil: Der Prozess der Produktentwicklung ist immer wieder ähnlich, und routinierte Anwendung der notwendigen Schritte ermöglicht ein effizientes Arbeiten. Kreativität und technische Lösungskompetenz sind wie ein Muskel, der durch jahrelanges Training immer stärker wird. Das Thema ist nicht entscheidend – dem Muskel ist es egal, ob Sie ihn mit Medizintechnik, Möbeldesign, oder Design für Industriemaschinen trainieren. Im Gegenteil: analog zum physischen Training ist es besser für die Trainingseffizienz, die Übungen immer mal wieder zu wechseln.
Ein Nebeneffekt der thematischen Flexibilität und vielseitiger Projekterfahrung, ist das Potential, aus vielen anderen Themenbereichen und Branchen mögliche technische Lösungen in das aktuelle Projekt zu transferieren.
Warum häufen sich dann bestimmte Branchen im Portfolio eines Designbüros?
Das liegt vermutlich an der Tendenz potentieller Kunden unter der selbst gesetzten Prämisse der thematischen Erfahrung zu agieren. Wenn man mehrere abgeschlossene Projekte aus einem Themenbereich – nehmen wir an, Werkzeugmaschinen – vorweisen kann, ist es einfacher wieder ein Projekt in dieser Branche zu akquirieren. Bedeutet das, dass die vielen anderen Branchen und Themen nicht zu bewältigen wären? Auf keinen Fall! Viele Projektmanager würden staunen, was für großartige neue Ideen bei einem vermeintlich fachfremden Designer heraus kommen würden. Und das ist es ja, wofür Designer engagiert werden: neue Ideen und Perspektiven entwickeln.